Content Recycling – mehr als nur die Wiederverwertung alter Inhalte

Unternehmen, die sich mit Content Marketing befassen, sind in der Regel sehr daran interessiert, den Publikationsprozess zu optimieren: Welche Ideen werden umgesetzt? Wie werden sie umgesetzt? Auf welchen Plattformen werden sie distribuiert? Obwohl diese Herangehensweise grundsätzlich zu befürworten ist, so besteht doch die latente Gefahr, dass Unternehmen geradewegs auf ein “Publish and Pray”-Hamsterrad zusteuern: während ihre Effizienz steigt, nimmt ihre Effektivität womöglich unbemerkt ab. Content Marketing folgt weniger dem klassischen Verlagswesen als der digitalen Produktentwicklung – einschließlich Lernphasen und Iteration.


Das Content Marketing Forum (CMF) schrieb dazu bereits im Jahr 2016 in seinem Content Promotion Whitepaper, dass “viel zu oft … mit hohem Aufwand und viel Herzblut Content ‘für die Tonne’ produziert [wird], weil keine ausreichend große Nutzerbasis aufgebaut wurde”. Dieser Umstand ist vergleichbar mit dem Fehlen des “Product-Market-Fits”, also dem nachweislichen (!) Interesse des Zielmarktes an den eigenen Produkten, ergo dem eigenen Content. Und während die Gründe dafür vielfältig sind, so ist die Konsequenz eindeutig: die zunehmende Übersättigung des (Content)-Marktes und ein abnehmender Grenznutzen bei jeder neuen Publikation.


Was wir – und an dieser Stelle schließe ich vom Corporate Blogger bis zum privaten Influencer alle Content-Schaffenden ein – brauchen, ist ein “Product Mindset”, das neben der Neuentwicklung von Content auch das Portfoliomanagement, also die Pflege bereits bestehender Inhalte berücksichtigt. Das heißt vor allem die kontinuierliche Aktualisierung und Erweiterung, aber auch die Konsolidierung oder Reduktion des eigenen Content-Angebots.

Republishing, Refurbishing, Recycling – Begriffe mit unterschiedlicher Intention


Mir ist bewusst, dass unterschiedliche Definitionen vorliegen, die folgenden spiegeln daher vor allem mein eigenes Verständnis vor dem Hintergrund der jeweiligen Definition im englischen Sprachgebrauch wider. Zudem habe ich mich mit Branchenkollegen ausgetauscht, woraus der folgende Konsens hervorging:

  • Republishing beschreibt die Wiederveröffentlichung von Inhalten aus der Vergangenheit in quasi unveränderter Form (das betrifft auch die URL) – analog zum Nachdruck aus dem Verlagswesen. Das bietet sich beispielsweise dann an, wenn ein bestimmtes Thema erneut an Relevanz für die Zielgruppe zunimmt und aus diesem Grund “aus dem eigenen Archiv geholt” werden soll.
  • Refurbishing (oder Remastering) meint in Ergänzung zur Wiederveröffentlichung alter Inhalte ihre vorherige Politur, im Rahmen derer kleine Veränderungen wie die Aktualisierung enthaltener Daten vorgenommen, Texte auf Basis einer semantischen Analyse optimiert oder die visuelle Gestaltung überarbeitet werden – analog zur überarbeiteten Neuauflage. Sowas bietet sich grundsätzlich an, um Rankings zu verteidigen, weiterhin Conversions zu generieren und die eigene Reputation aufrecht zu erhalten.
  • Recycling ist der wahrscheinlich gängigste Begriff im Kontext der Wiederverwertung von Inhalten und beschreibt die Transformation bestehender Inhalte in neue Formate, etwa die Zusammenfassung mehrerer thematisch verwandter Artikel in einem E-Book oder die Vertonung eines Blogartikels als Podcast oder Audiobook. Kern des Content Recyclings ist demnach die “modulare Zersetzung” (auch “Atomisierung”) größerer Content Assets in sogenannten Micro Content, sodass dieser im Anschluss neu kombiniert werden kann (siehe Grafik) – analog zu Themenheften.
  • Repurposing ist in diesem Kontext nicht ganz so trennscharf definiert, da die aktuellen Diskussionen rund um das Thema “Purpose” im Sinne der Haltung von Marken zu einem konkreten Thema sowie dem zugrundeliegenden “Reason Why” großen Einfluss auf das Verständnis dieses Begriffs haben. Vielleicht können wir uns darauf einigen, Repurposing als Neuausrichtung einzelner Inhalte zu verstehen, um etwa die eigene, veränderte Meinung oder Haltung korrekt wiederzugeben oder um eine neue Zielgruppe bzw. andere Bedürfnisse derselben zu adressieren.

Darüber hinaus sind aus einer Diskussion mit Experten wie Falk Hedemann (@wissenssucher) oder Doris Eichmeier (@DorisEichmeier) weitere Begriffe wie Restructuring und Redistribution hervorgegangen, die ebenfalls wichtige Aspekte dieses Themas widerspiegeln:

  • Restructuring hat im deutschsprachigen Raum seit Mitte 2018 vor allem durch die PR von HubSpot zu sogenannten Topic Clustern enorm an Aufmerksamkeit gewonnen, wenngleich das zugrundeliegende Konzept keineswegs neu ist. Der Begriff beschreibt im Grunde die Strukturierung einer Website mit Blick auf die interne Verlinkung (einschließlich der vereinfachten Auffindbarkeit) thematisch verwandter Inhalte oder ähnlicher Formate. Ich möchte an dieser Stelle auf meinen eigenen Artikel über Struktur-Konzepte im Content Marketing verweisen, indem ich die unterschiedlichen Modelle erkläre und vergleiche.
  • Redistribution beschreibt den Prozess der aktiven Promotion der “neu” geschaffener Inhalte und ist wichtig, um den Effekt der eigentlichen Content-Überarbeitung zu verstärken.

Alle diese Begriffe bzw. Aktivitäten haben ein gemeinsames Ziel: den Wert von Content aufrechtzuerhalten und langfristig zu steigern – sowohl aus Sicht des Produzenten als auch aus Sicht des Konsumenten. Und genau dieser Gedanke der Wertschöpfung – ich werde im weiteren Verlauf der Einfachheit halber von “Content-Pflege” sprechen – ist auch der Grund, weshalb wir uns folgende Frage immer wieder stellen sollten:

(Wann) Ist die Pflege vorhandener Inhalte sinnvoller als die Produktion neuer?

Um diese Frage zu beantworten, müssen zwei Dinge geschehen: Zum einen die Analyse der vorhandenen Inhalte hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Zielsetzung (zum Beispiel “Generieren wir Aufmerksamkeit/Traffic?” oder “Konvertieren Besucher zu Abonnenten/Kunden?”) sowie einer Ableitung der notwendigen Optimierungsmaßnahmen und zum anderen die Bewertung aller Content-Vorhaben im Sinne des zu erwartenden Return on Investments (ROI). Erst durch die direkte Gegenüberstellung ist eine belastbare Antwort möglich.

Das Augenmerk bei der Analyse liegt in vielen Fällen auf jenen Inhalten, die viel Traffic generieren aber eine niedrige Conversion Rate aufweisen oder umgekehrt. Die Content-Pflege beschränkt sich in diesen Fällen nämlich entweder auf die Conversion-Optimierung – zum Beispiel durch Design-Anpassungen auf Basis konsumpsychologischer Verhaltensprinzipien – oder die Suchmaschinenoptimierung – zum Beispiel durch Textanpassungen (Keywords, WDF*IDF-Analyse, Lesbarkeit, interne Verlinkung) oder die Integration von Schema-Markup für Featured Snippets. Dadurch lassen sich die Maßnahmen zur Pflege experimentell besser isolieren und in ihrer Effektivität eindeutig messen. Die dafür notwendigen Aufwände lassen sich zudem konkreter definieren.

Bei der Content-Planung – unabhängig davon, ob es um die Produktion neuer oder die Pflege vorhandener Inhalte geht – ist die Beschreibung des zu erwartenden ROI in Form einer monetären Kennzahl sinnvoll. Das kann beispielsweise durch eine Vergleichsrechnung des potenziellen Traffic-Werts gegenüber den theoretischen Kosten für Werbung auf Basis von Klickpreisen geschehen. Der Content-Marketing-Plattform contentbird beispielsweise liegt dieser “Traffic Value” an vielen Stellen zugrunde. Alternativ bietet sich ein Scoring basierend auf individuellen Kriterien an – etwa dem strategischen Fit, der Aktualität eines Themas oder der eigenen Kompetenz. Ich empfehle hierzu Mirko Langes (@talkabout) Konzept des Themenscorings.

Auf diese Weise wird die Gesamtheit aller Content-Vorhaben betrachtet und die Antwort auf die eingangs gestellte Frage kommt ganz natürlich.

Erfahrungsgemäß sind es eher umfangreiche Fachinhalte und aufwändigere Formate wie Whitepaper, E-Books oder Präsentationen in Verknüpfung mit den dazugehörigen Landing Pages, deren Wert wir durch eine Überarbeitung steigern können – erst recht in einem B2B-Umfeld mit komplexen Themen und, anspruchsvollen Zielgruppen.

Nicht notwendig beziehungsweise nicht im selben Maße wertschöpfend wie in den eben genannten Fällen ist die regelmäßige inhaltliche Überarbeitung von Nachrichtenbeiträgen (da diese naturgemäß mit der Zeit an Relevanz verlieren), Produktbeschreibungen (da diese vor allem Produkteigenschaften widerspiegeln, die sich so schnell wahrscheinlich nicht ändern), Landing Pages (die eher im Sinne von Experimenten iteriert und optimiert werden sollten) oder Unterhaltungsbeiträgen (da diese tendenziell vom Moment und Medium leben).

Content-Recycling – ein bewährter Prozess um Inhalte zu überarbeiten

Ist die Entscheidung gefallen, vorhandene Inhalte zu überarbeiten, folgt alles weitere einem ähnlichen Prozess, wie für die Produktion – mit der Ausnahme, dass bereits erste Performance-Daten vorliegen, von denen sich Optimierungsmaßnahmen ableiten lassen.

  • Relevanzprüfung – Anstelle der Recherche für neuen Content gilt die erste Prüfung der Passgenauigkeit des Inhalts zur Suchintention des Nutzers (angenommen die Suche ist die primäre Traffic-Quelle) sowie der Aktualität (insbesondere enthaltene Daten und Termine).
  • Marktanalyse – Ein Blick auf die Konkurrenz kann mithilfe von Tools wie SEMrush zusätzliche Erkenntnisse darüber liefern, für welche Keywords beispielsweise Mitbewerber ranken, was diese inhaltlich ausmacht oder wie ihr Linkprofil aussieht. Daraus lassen sich in gewisser Weise die Minimalanforderungen an die Überarbeitung ableiten. Auch Tools wie thruuu.com liefern dahingehend wertvolle Insights über den Wettbewerb.
  • Datenanomalitätsprüfung – Ergänzend zum Blick auf Traffic und Conversions sollten sämtliche Informationen zum Besucherverhalten auf (positive wie negative) Anomalien untersucht werden. Interessant sind dafür beispielsweise die Verweildauer, das Scrollverhalten, die Bounce Rate, angeklickte Elemente etc.
  • Hypothesenbildung – Es ist im Content Marketing noch nicht unbedingt üblich, doch ich empfehle jeder Überarbeitung eine Hypothese zugrunde zu legen. Diese beschreibt die angedachte Veränderung und begründet die erwarteten Auswirkungen.
  • Content-Überarbeitung – Auf Basis der Insights und der ausformulierten Hypothesen folgt dann die Überarbeitung der Inhalte. Das kann rein inhaltlicher, textlicher Natur sein, aber auch die Ergänzung neuer (Rich Media) Formate, ein grafisches Facelift oder technische Verbesserungen bedeuten.
  • Ergebnismessung – Der letzte (und gleichzeitig wiederum erste) Schritt ist die Erfolgsmessung, um die eigenen Hypothesen zu verifizieren. Nicht nur sollten diese Ergebnisse genau analysiert werden, um zu verstehen, warum sich eine Veränderung positiv oder negativ auf die gemessenen Metriken ausgewirkt hat, sondern auch dokumentiert werden, um diese Learnings für zukünftige Optimierungsmaßnahmen als Referenzwerte griffbereit zu haben.

Ein Plädoyer an Content-Schaffende

Die Pflege der vorhandenen Inhalte sollte meines Erachtens mindestens denselben Stellenwert haben, wie die Produktion neuer Inhalte – und mit Blick auf den Prozess Hand in Hand geschehen. Mit steigendem Reifegrad und zunehmender Menge an Content verschiebt sich das Verhältnis vielleicht sogar langfristig noch weiter in Richtung Portfoliomanagement. Denn einfach nur Content zu produzieren, ist selten das Ziel; aber Wachstum doch schon eher, oder?

Die Content-Pflege verhindert bei all der Prozessoptimierung zur Effizienzsteigerung ein Erblinden gegenüber der tatsächlichen Effektivität des Content Marketings; etwa wenn es darum geht, die eigene Position im Markt zu definieren und langfristig zu verteidigen, gezielt den gewünschten Traffic auf die Webseite zu lenken und dort die richtigen Besucher zu Leads und Kunden zu konvertieren.

Wer also nicht nur publiziert, sondern Content auch optimiert und weiterentwickelt, lernt schneller als die Konkurrenz und hat langfristig wahrscheinlich die Nase vorn.