Schein oder sein – der schmale Grat zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit

Freier Mitarbeiter, Freelancer, Freiberufler oder, einfach gesagt, der oder die Selbständige. Doch wer gilt eigentlich rechtlich gesehen tatsächlich als selbständig und wo müssen Auftraggeber und Auftragnehmer aufpassen, um nicht in die Falle der Scheinselbständigkeit zu tappen? Die Frage ist – leider – häufig kompliziert. Die Folgen einer Scheinselbständigkeit dagegen nicht ohne. Hohe Nachzahlungen für den Auftraggeber können fällig werden.

Abhängig Beschäftigte werden als sozial schutzbedürftig angesehen und unterliegen deshalb dem Schutz der Sozialversicherungen. Für sie gilt Beitragspflicht in den Sozialversicherungen (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung). Selbständige dagegen sind selbst dafür verantwortlich, ob und wie sie sich absichern. Eine Beitragspflicht besteht nicht. Allerdings: Der Grat zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit ist schmal.

Scheinselbständigkeit – was ist das genau?

Von einer Scheinselbständigkeit spricht man immer dann, wenn die Vertragsparteien eine selbständige Tätigkeit annehmen, deshalb keine Beiträge zur Sozialversicherung abführen, die Beschäftigung aber unter Berücksichtigung aller Umstände als abhängige Tätigkeit dargestellt werden kann.

Eine Scheinselbständigkeit kann dann bestehen, wenn ein Arbeitnehmer zwar im Rahmen eines Werkvertrags nach außen als selbständiger Unternehmer handelt, bei der Erfüllung seiner Aufgaben aber völlig weisungsgebunden und in die Organisation des Arbeitgebers integriert ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Scheinselbständigkeit – im sozialversicherungsrechtlichen Sinne – können sein:

  • feste Arbeitszeiten
  • Arbeit in den Räumen des Auftraggebers
  • feste Bezüge
  • Urlaubsanspruch
  • fixe Integration in Prozesse oder die Infrastruktur des Auftraggebers
  • unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers

Entscheidend ist der Einzelfall. Möglicherweise sprechen viele Indizien für eine Scheinselbständigkeit, die Parameter für eine Selbständigkeit überwiegen jedoch.

Selbstcheck für Auftragnehmer und Auftraggeber

Der Münchner Rechtsanwalt Alexander Forssman definiert „Freie Mitarbeiter“ wie folgt:

„Freie Mitarbeiter sind selbständige Arbeitskräfte, die aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages Aufträge von in der Regel mehreren Auftraggebern selbständig und in der Regel persönlich ausführen, ohne in das Unternehmen des Auftraggebers eingegliedert zu sein.“

  • Bestimmt der Auftragnehmer seine Arbeitszeiten selbst?
  • Wählt der Auftragnehmer seinen Arbeitsplatz in der Regel frei aus?
  • Unterscheiden sich die Aufgaben eines Auftragnehmers von den Tätigkeiten der Festangestellten?
  • Präsentiert sich der Auftragnehmer in der Außenwelt als Selbständiger?
  • Darf der Mitarbeiter während der Vertragslaufzeit für Mitbewerber tätig werden?
  • Kann der Auftragnehmer seiner Arbeit ohne Möglichkeiten der Kontrolle nachgehen?

Diese und weitere Fragen helfen, zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit zu unterscheiden. Wichtig laut Forssman: „Für eine fundierte Beurteilung müssen sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.“

Scheinselbständigkeit – ein Beispiel

Der Klassiker: Eine ehemalige Arbeitnehmerin in einer Werbeagentur kehrt nach der Elternzeit zurück – auf Basis eines freiberuflichen Vertrags. Eigentlich. Die Frau arbeitet Vollzeit, in den Räumen der Agentur und ausschließlich für eben diese. Ihre Arbeits- und Urlaubszeiten: stimmt sie mit den Kolleginnen und Kollegen ab. Hier liegt sehr wahrscheinlich eine Scheinselbständigkeit und damit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor.

Besonders von Scheinselbständigkeit betroffen sind unter anderem IT-Berater, Lehrkräfte, Programmierer, Handwerker, Grafikdesigner und Texter.

Und dann wäre da noch: die verdeckte und unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung

Arbeitnehmerüberlassung: ein anderer Begriff für Zeitarbeit oder Leiharbeit. Es besteht ein zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis. Das Besondere: Derjenige der die Leistung erbringt, erhält Weisungen vom Kunden (Entleiher) oder ist in dessen Organisation integriert. Die Folge: eine verdeckte oder unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Die Konsequenz: Rückwirkend kommt es zum Arbeitsverhältnis beim Entleiher, sprich dem Kunden. Für den Selbständigen könnte diese Tatsache die Rückzahlung von bereits erhaltenem Honorar bedeuten.

Last but not least: der rentenversicherungspflichtige Selbständige

Die Rentenversicherungspflicht bei Selbständigen betrifft ausschließlich den Freelancer selbst. Auftraggeber und Auftragsverhältnis bleiben in diesem Fall unangetastet. Gefährdet: jeder Selbständige mit nur einem Auftraggeber.

Ein Selbständiger kann rentenversicherungspflichtig sein, wenn

  • mehr als 5/6 des Jahresumsatzes mit einem einzigen Kunden umgesetzt werden (Scheinselbständigkeit) und
  • der Selbständige keinen sozialversicherungspflichtigen Angestellten hat

Um gar nicht erst in die Falle der Scheinselbstständigkeit zu tappen, lohnt sich – nicht nur, aber insbesondere – zu Beginn jeder selbständigen Tätigkeit die Beratung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt wie Alexander Forsmann. Er kann eine wertvolle Stütze für die Ausarbeitung eines Vertrags sein, der für künftige Zusammenarbeiten mit Auftraggebern dienlich ist.

Im Rahmen eines für CMF-Mitglieder exklusiven und kostenfreien Webinars hat Forssman im Februar zum Thema „Frei oder gratis? Wie Vereinbarungen zwischen Agenturen und Freelancern aussehen sollten“ referiert.